Eine Geschichte aus eigener Praxis:
Felix kommt in meine Lernberatung, als er kurz vor dem Realschulabschluss steht. Er ist 17 Jahre alt, hat ein sicheres Auftreten und wird von seiner Mutter als hilfsbereit und aufgeschlossen beschrieben. Er möchte nach dem Realschulabschluss die Schule wechseln, um sein Abitur abzulegen. Seine Schulnoten sind durchweg gut – außer in Mathe! Er erzählt, dass er seit Jahren Nachhilfe nimmt und auch bereits den Rat anderer Therapeuten in Anspruch genommen habe, alles ohne Erfolg. Bestenfalls schafft er die Note 4 -. Damit könnte es mit dem Schulwechsel knapp werden. „Ich habe wahrscheinlich Dyskalkulie (Rechenschwäche) und wenn ich nur an eine Mathearbeit denke, wird es mir schon flau im Magen.“ „Und wenn du an Schule allgemein denkst, wie geht es dir dann?“, frage ich. Antwort: „Ich gehe gerne in die Schule, ich mag auch Mathe! Komisch eigentlich. Keine Ahnung, ich übe und übe, gehe schon total lange in Nachhilfe, aber ich habe das Gefühl, überholt zu werden.“
Als Lern-Coach erforsche ich an dieser Stelle zunächst einmal seinen Lerntyp. Dazu lasse ich Felix Wörter vorwärts und rückwärts buchstabieren, um herauszufinden, wie er an seine gespeicherten Informationen herankommt. Das Buchstabieren funktioniert gut und sicher, für mich ein erster Hinweis darauf, dass er automatisch seinen visuellen Speicher nutzt, um an seine erinnerten Infos heranzukommen. Nun wird es spannend: „Was ist, ohne zu rechnen, 7 x 8?“, frage ich und beobachte ihn dabei genau. Bei Schülern mit Dyskalkulie entdecke ich an dieser Stelle oft, dass sie entweder die Finger zu Rate ziehen oder mehrere Rechenschritte benötigen, um anschließend zu einem Ergebnis zu kommen, das häufig nicht korrekt ist, aber auf jeden Fall ein mulmiges Gefühl erzeugt. Nicht so bei Felix: „56“ ist seine Antwort, wie aus der Pistole geschossen, mit einem kleinen Fragezeichen auf der Stirn: „Wieso fragen Sie mich denn so eine leichte Aufgabe!“ Als ich ihm erkläre, dass ich keinen Hinweis auf eine Dyskalkulie entdecken könne, wundert er sich sehr! „Wie kann das sein, dass ich trotzdem Mathe so gar nicht hin bekomme?“
„Hast du Lust, zusammen mit mir auf die Suche zu gehen, woher das vielleicht kommt?“, frage ich. „Klar, aber keine Ahnung, wie das gehen soll, die anderen haben bis jetzt ja auch nie was raus gekriegt!“, ist die Antwort.
Schon den ersten O-Ringtest findet Felix faszinierend. Nun ist er wirklich neugierig. Zunächst möchte ich wissen, wie er sich fühlt, wenn er an Mathe oder gar an eine Mathe-Arbeit denkt. „Das sitzt so im Bauch. Als ob es nach oben fliegen würde, wie eine Achterbahn“, entgegnet er. „Was denkst du denn über dich, wenn du an Mathe denkst und dabei dieses Gefühl im Bauch spürst?“ will ich wissen. „Was ich denke, na ja, das ist eher ein Gefühl.“ „Wie kannst du das bei dir beschreiben?“ „Ich komme nicht vom Fleck!“ „Wie meinst du das?“ „Na, dass ich eben immer schlecht in Mathe bleiben muss!“ „Und was würdest du lieber über dich denken?“ Felix entscheidet sich für den Satz: „Ich kann weiterkommen.“ Aber zurzeit kann er dieser positiven Kognition auf der Glaubwürdigkeits-Skala nur 2 von 7 Punkten geben.
Nun testen wir, welche Emotion als Stressquelle eine Rolle spielen könnte. Felix erlebt eine Überraschung: Ekel! „Was hat denn Ekel bei mir mit Mathe zu tun?“ Seine Ungläubigkeit, kombiniert mit seiner Neugier, herauszufinden, woher sein Mathestress rührt, lässt uns auf der Zeitschiene in die Vergangenheit wandern. Zunächst vermutet er selbst, es könne vielleicht mit der Trennung seiner Eltern vor vier Jahren zusammenhängen. Er habe seither verschiedene Probleme, wie z.B. Heuschnupfen. Wir bleiben weiterhin neugierig und finden über den O-Ringtest das 8. Lebensjahr. Felix überlegt nur kurz. Schnell erinnert er sich an eine Situation in der 3. Klasse. Er hatte seine erste benotete Mathearbeit geschrieben. Leider hatte er eine schlechte Note und traute sich nicht, diese den Eltern zu zeigen. Nach einiger Zeit wurden die Eltern aufmerksam: „Hast du denn deine Mathearbeit noch nicht zurück?“ So kam die ganze Wahrheit ans Licht! Dem ehrgeizigen Vater war der Schulerfolg seines Sohnes sehr wichtig und so kam er auf die Idee, Felix im Kaminzimmer diese Mathearbeit solange rechnen zu lassen, bis sie fehlerfrei dastand. Jetzt ist der Ekel auch für Felix verständlich. Diese Situation am Kamin war widerwärtig und erniedrigend für ihn: „Ich habe sogar immer noch den Geruch von kalter Asche in der Nase, wenn ich daran denke. Außerdem kommt es mir vor, als hätte ich Stunden da gesessen.“ Ich mache Felix noch mal auf seinen einschränkenden Glaubenssatz über Mathe aufmerksam: „Ich komme nicht vom Fleck!“ „Genau so war es! Ich durfte erst weg vom Kamin, als alles fertig war!“
Wir beginnen sogleich diese Situation zu bearbeiten. Bereits nach dem ersten Set schneller Augenbewegungen meint Felix: “Es ist weg.“ Er meint das Gefühl im Bauch. Sein nächster Kommentar ist „Leere“ und nach zwei weiteren Sets dann „gut“. Jetzt sitzt er da und ist selbst etwas überrascht. „Kann das sein?“ fragt er mich. Wir überprüfen das Ergebnis mit dem Muskeltest: Der Ekel testet stabil, anstatt dessen hat sich 'friedliche Ruhe' eingestellt. Der Blick auf die Skala ergibt ein angenehmes Gefühl bei +3 von 10 Pluspunkten und der positive Glaubenssatz „Ich kann weiterkommen“ bekommt jetzt auf der Glaubwürdigkeitsskala die „volle 7“! Auch gibt es im Moment laut Test kein weiteres Stress-Thema. Eine Woche später überprüfen wir die Stabilität. Für seinen Weg zum Abitur an einer anderen Schule weben wir mit langsamen Augenbewegungen noch die Ressourcen Zuversicht und Kraft ein.
Bei Schülern und Jugendlichen wirkt ein wingwave-Coaching oft erstaunlich rasch. Von außen kaum wahrnehmbar integrieren junge Menschen rasant schnell. Nur selten kommt es zu Folgesitzungen.
Felix sehe ich vier Monate später wieder. Wir wollen beide wissen, wie es um sein Thema steht. Ich frage ihn, wie es ihm geht. „Sehr gut, ich habe mich gleich nach der Sitzung in Mathe mündlich und schriftlich auf 2 bis 3 verbessert. So habe er sogar noch eine gute 4 als Gesamtnote in Mathe bekommen und jetzt bin ich auf der anderen Schule.“ Ich fordere ihn auf in diesem Moment an Mathe zu denken. Der Muskeltest hält – ebenso als er an die Situation am Kamin von damals denkt! „Das ist ja prima“, freue ich mich. Auf mein Lob hin meint er allerdings: „Ja, ich freu' mich auch, stimmt schon. Aber da ist jetzt etwas Anderes.“ „Oh, was gibt es denn?“ so meine Frage. „Ich schreibe irgendwie seit Beginn des Schuljahres in allen Fächern 2 bis 3. Das ist doch nicht normal! Mal hab' ich echt viel gelernt, mal weniger: immer 2 bis 3!“
Wir verabreden, dass er die Situation weiter beobachtet und sich gegebenenfalls wieder bei mir meldet. Aber schon die nächste Klassenarbeit nach unserem Gespräch war dann eine glatte 2. Der Knoten ist geplatzt – bis heute!